Zu Gast bei Ranga Yogeshwar: „Nächste Ausfahrt Zukunft – Unser Umgang mit Bildung“

Ich war am vergangenen Mittwoch (mit Kolleginnen aus der Shiftschool) bei einer Vortragsveranstaltung in der Fürther Stadthalle und möchte dazu hier berichten.

Vorab: Der Vortrag war eine Themaverfehlung – es ging nur am Rande um Bildung. Das war für mich überhaupt kein Problem. Herr Yogeshwar hielt einen äußerst kenntnisreichen Vortrag über Digitalisierung, er brachte eine Fülle von anschaulichen Geschichten von dem tiefgreifenden Wandel, in dem wir uns befinden, vor allem stellte er die richtigen Fragen (wollen wir in totaler Transparenz und Rationalität leben, ist das menschlich?), deren Beantwortung er den ca. 800 Zuhörern aber selbst überließ. Das war die große Leistung und damit auch das sehr Angenehme dieses Abends: Keine bis kaum Wertungen zum Für und Wider der Digitalisierung, damit aber auch keine einfachen Antworten, sondern jeder Zuhörer muss (leider) für sich selbst urteilen (und sollte sich selbst in den Prozess der digitalen Transformation einbringen).

Zur Person

Ranga Yogeshwar ist gebürtiger Luxemburger, er ist aber teilweise auch in Indien aufgewachsen. In Aachen studierte er Physik mit den Schwerpunkten „Experimentelle Elementarteilchenphysik und Astrophysik“. Wikipedia kennt seine exakte öffentliche Vita, die möchte ich hier nicht abschreiben. Aber ich erlaube mir die Vermutung, dass der kluge Vortrag letztlich auch aus dem Substrat aus unterschiedlichen Sprachen, Kulturräumen und Religionen seiner Vita entsprang. Wer derart über Grenzen geht, kennt auch im Denken keine Grenzen. Bewundernswert.

Zum Inhalt

Sein Vortrag griff viele Beispiele aus seinem Buch „Nächste Ausfahrt Zukunft“ auf. Zentral waren für mich die Fragestellungen zur „Diktatur der Transparenz“, die uns in China bereits vorgelebt werden. Das „Nothing to hide, nothing to fear“ hat er ganz konkret in die Alltagslebenswirklichkeit projiziert, wo man dann beispielsweise nicht mehr aus dem Spaß an der Bewegung und dem eigenen Willen heraus joggt, sondern sich dem Diktat seines konnektierten Fitnessarmbands unterwirft. Denn die Fitness-App als Datensammler für die Versicherung joggt schließlich mit und entscheidet daraufhin (einzelfallgerecht?!) über den Versicherungstarif. Die freie Entscheidung des „Ich möchte“ weicht dem „Ich werde gemöchtet“. Die vollständige Rationalität, die uns die unfassbar vielen persönlichen Daten aus dieser Transparenz in Verbindung mit Algorithmen anbietet, ist vom Grundsatz her entwaffnend. Aber entscheidend ist dann doch die Frage, ob wir das überhaupt wollen, wo da konkret die Grenzen zu ziehen sind und was letztlich menschlich ist. Denn insbesondere in der Vorhersage liegt dann schon sehr viel Musik. Wollen wir beispielsweise die existentiellen medizinischen Fragestellungen des eigenen Lebens durchdigitalisieren? Er wirbt in dem Vortrag um nicht mehr und nicht weniger, als um das Bewusstsein dieser Fragestellungen und um die nötige gesellschaftliche Debatte. Laut seiner Einschätzung sind wir die erste Generation, die ihre Gegenwart maßgeblich selbst gestalten können. Aber dazu braucht es z.B. auch die Selbsterfahrung, was uns als Gesellschaft glücklich macht. Mit dieser Normierung hätten wir einen Kompass für die Grenzziehung im Ozean der Möglichkeiten durch Digitalisierung.

Er beendet den Vortrag mit einem schönen Zitat von Pablo Picasso: „Das ist das Wesenhafte des modernen Menschen, der in aller Angst des Loslassen doch die Gnade des Gehaltenseins im Offenwerden neuer Möglichkeiten erfährt.“ Und mit dem Wunsch, auch in Zukunft die freie Entscheidung tätigen zu können, bei rot über die Ampel zu gehen. Denn als Kind hat er von seinem Onkel in Bangalore vorgegeben bekommen, dass er ruhig bei rot über die Ampel gehen kann, aber insbesondere bei grün genau kucken muss…

Outro

Getroffen: Zwei geschätzte Kollegen aus meiner IHK Nürnberg, die sich beide mit Bildung beschäftigen. Ich bin mal gespannt, was sie von dem Abend/dem Vortrag hielten. Denn leider war direkt vor Ort kaum die Möglichkeit, sich auszutauschen, das Veranstaltungssetting war nicht auf eine Reflexion des eben Gehörten ausgerichtet. Aber die Gustavstraße als kreative Lösung dieses Problems war nicht weit.

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